20. März 1890 in Preußen

20. März 1890 in Preußen

Heute vor 131 Jahren

Im englischen Magazin Punch erscheint wenige Tage nach dem heutigen Ereignis die berühmt gewordene Karikatur von Sir John Tenniel „Dropping the Pilot“, im Deutschen üblicherweise mit „Der Lotse geht von Bord“ übersetzt. Zwei Tage nach Otto von Bismarcks meisterhaft formuliertem Rücktrittsgesuch wird am heutigen Tag des Jahres 1890 selbiges von Kaiser Wilhelm II. bestätigt und angenommen. Es ist das Ende einer Ära, die über drei Jahrzehnte gedauert hatte.

„Sechs Monate will ich den Alten verschnaufen lassen, dann regiere ich selbst“ hatte Wilhelm II. schon früh verlautbaren lassen und wollte nicht im Schatten des 73jährigen Reichskanzlers stehen, der wie ein „Riese aus grauer Vorzeit“ (Michael Stürmer) auf ihn wirkte. In Bismarcks Augen wiederum war der Kaiser zu wenig vorbereitet, er sei ein „Brausekopf, könne nicht schweigen, sei Schmeichlern zugänglich“. Bismarck hatte als Reichskanzler stets seine eigene Politik durchgesetzt, hatte sich gegen ein schwaches Parlament behauptet und sich im Einverständnis mit Kaiser Wilhelm I. fühlen können. Am Ende aber muss er begreifen, dass trotz aller Verdienste um den preußischen Staat und bei der Gründung des Nationalstaates, trotz allem außenpolitischen Weitblick und innenpolitischer Souveränität, trotz aller Erfahrung, der 31jährige Wilhelm II. ihn nur noch als ein Überbleibsel aus alten Tagen begreift und fest entschlossen ist, selbst zu regieren und aus Bismarcks Schatten zu treten. Es handelt sich aber nicht nur um einen Generationenkonflikt und eine Frage von Macht und Prestige, sondern vor allem um eine politische Frage: Bismarck warnte eindringlich vor einem unkontrollierbaren Konflikt mit Russland, wollte die Massenstreiks im Bergbau rigoros niederringen und vor allem das Sozialistengesetz radikal verschärfen. Damit stand er im Gegensatz zur versöhnlichen Haltung des Kaisers gegenüber der Arbeiterschaft. Das persönliche Verhältnis zwischen Kaiser und Kanzler verschlechterte sich ständig, auch weil der Kaiser und seine Umgebung befürchteten, Bismarck wolle eine Kanzlerdiktatur installieren oder den Kaiser zumindest kontrollieren und bevormunden. Zum Eklat kam es, weil Bismarck den Vorsitzenden der Zentrumspartei, Ludwig Windthorst empfangen hatte, was der Kaiser missbilligte und vor allem, weil Bismarck eine alte Kabinettsorder von 1852 hervorgeholt hatte, die den Ministern den Vortrag beim Monarchen nur nach Rücksprache mit dem Ministerpräsidenten gestattete. Bismarck, gekränkt von der immanenten Beschuldigung, verweigert die Rücknahme der Bestimmung.

Später wird Wilhelm II. erzählen, Bismarck sei ihm gegenüber so wütend geworden, dass er befürchtete, der Kanzler werde ihm „das Tintenfaß an den Kopf werfen“. Er unterzeichnet Bismarcks Entlassungsgesuch. Neuer Reichskanzler wird Leo von Caprivi. Die deutsche Öffentlichkeit nimmt das Ende der Ära Bismarck gleichgültig bis erleichtert auf. Erst in den folgenden Jahren wird der „Eiserne Kanzler“ mehr und mehr zum Mythos und zur Symbolfigur.

Quelle: https://www.preussen.de